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Kurzinfo

Vollbeschäftigung für hochbegabte Kinder?

Wer heute an Spielplatzgesprächen teilhat, hört immer häufiger die Wörter Hochbegabung und Frühförderung. Viele Eltern machen sich intensiv Gedanken, welches Potenzial ihr Kind hat und wie sie es am besten unterstützen können. Es gibt ein großes Angebot an Büchern, Ratgebern und Informationen in den Medien. Frau Spahn, Mitglied im Arbeitskreis Hochbegabung des Berufsverbandes Deutscher Psychologen kann diesen Trend bestätigen. In der Berliner Praxis ‚Leuchtfeuer’ betreut sie hochbegabte Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

Häufig fühlen sich Eltern unter Druck. Fördern hören sie, von Zeitfenstern ist die Rede und dass keine Gelegenheit verpasst werden darf. Eltern stöbern im Internet, studieren Broschüren, erstellen Listen von Kursen und Wunschschulen, gehen zu Betroffenentreffen, beobachten ihr Kind, machen Pläne fürs Kind, spielen pädagogische Spiele mit dem Kind, auch wenn diese dem Kind gar nicht gefallen. Und dann liegen Eltern nachts wach und halten inne – fragen sich, ob das so noch richtig ist.

Diese Problematik möchte Frau Spahn gar nicht erst entstehen lassen. Vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Erfahrung im Umgang mit hochbegabten Kindern und deren Eltern, hält sie die emotionale Förderung für einen zentralen Aspekt im Zusammenleben betroffener Familien. Sie sagt: „Förderung eines hochbegabten Kindes ist nicht das Herstellen von Vollbeschäftigung.“ Im ungünstigsten Fall besteht die Gefahr der Überforderung der Kinder und schlussendlich auch der Eltern. Manche Eltern sind so stark verunsichert, dass sie nicht mehr ihrem eigenen Weg in der Erziehung folgen. Doch gerade das ist elementar in der emotionalen Förderung. Frau Spahn stellt fest: „Je gelassener Eltern mit ihren Kindern umgehen, desto mehr Sicherheit können sie vermitteln.“ Es ist wichtig für Eltern, die Bedürfnisse ihrer Kinder Ernst zu nehmen und ihnen einen Spielraum für eigene Entscheidungen zu geben. Ein vertrauensvolles Verhältnis stellt die Basis für eine liebevolle Erziehung dar. Denn auch ein hochbegabtes Kind soll die Chance bekommen, sich frei zu entwickeln. Frau Spahn plädiert deshalb für eine Förderung mit Augenmaß für die Individualität des Kindes. Es sollte nicht allein aufgrund von Testergebnissen in eine besondere Richtung gedrängt, sondern in seiner Entwicklung begleitend unterstützt werden.

Weitere Informationen:

www.bdp-verband.org
www.die-hochbegabung.de/german
www.leuchtfeuer-berlin.de
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Dipl. Ing. Thekla Fery ∗ Pressearbeit

Email: thekla.fery@googlemail.com

Funk 0177-7365110 ∗ Tel. 030-7929886

 

Alle Hochbegabten auffällig? Alle Auffälligen hochbegabt?

Wie Klischees und häufige Irrtümer Eltern und Kinder in die Sackgasse führen können

 

Der Fall

Frau Schneider ist sprachlos. Kevin (Name geändert), 11 Jahre, soll gar nicht hochbegabt sein. Ganz normaler Durchschnitt, IQ 105, ausgeglichenes Begabungsprofil, alles in Ordnung, sagt der Psychologe. Für Frau Schneider ist nichts in Ordnung. Sie war sich doch sicher: Nur das kann die Lösung sein und mit der Bestätigung vom Psychologen zeig ich es den Lehrern!

 

Was ist passiert?

Leider ist Frau Schneider kein Einzelfall. Sie ist den gängigen Klischees über Hochbegabte aufgesessen, wollte auch gerne glauben, dass Kevins auffälliges Verhalten allein an einer Hochbegabung liegt. Dass die Noten, die er bekommt, ganz und gar nicht seinem Leistungsvermögen entsprechen. Dass er jetzt endlich eine spezielle Förderung bekommen muss. Das hatten ihr auch alle Bekannten und Verwandten bestätigt, so etwas komme doch häufig vor.

 

Kevin war zunächst auffällig geworden, weil er sich oft und gerne mit anderen streitet. Schnell eskaliert so ein Streit und es kommt sogar zu Handgreiflichkeiten. In der Schule, das gab er immer wieder kund, war es einfach „langweilig“. Und zu Hause hatte Frau Schneider Verständnis, dass er bei all dem Ärger nicht auch noch die langweiligen Hausaufgaben machen wollte. Die ebenfalls auffällig schlechten Noten konnten nur vom Unwillen des Lehrers herrühren – war Kevin doch so klug und wusste über so viele Dinge Bescheid. Sogar mit dem Computer kannte er sich doch schon in der zweiten Klasse aus, viel besser als sie selbst. Woher er das nur hatte!

Der Fachmann würde sagen: Frau Schneider glaubt, dass ein Fall von Underachievement vorliegt und dass die Schule dafür die Schuld trägt.

 

Der Hintergrund: Das Phänomen Underachievement (auch „Minderleistung“ genannt) gibt es tatsächlich

Leider ist die Sache aber nicht ganz so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Nicht jeder Schwach- oder Normalleister ist Underachiever. Die meisten leisten entsprechend ihrem Leistungsvermögen. Das belegen Studien, seit zu diesem Thema geforscht wird.

Schauen wir aber zunächst einmal auf diejenigen, auf die zutrifft, was hier schnell auch für andere vermutet wird. Ja, es gibt sie also wirklich, die sogenannten Underachiever, die Leistungen deutlich unter ihrem Leistungsvermögen zeigen. In der Schule werden sie vom Lehrer objektiv richtig benotet, also nach der gezeigten Leistung, und nicht nach dem evtl. im Verborgenen schlummernden Vermögen. Im Gegenteil: Viele Lehrer haben ein gewisses Gespür für das Leistungspotenzial eines Schülers. Liegt das hoch, dann wertet der Lehrer den „faulen“ Schüler schnell noch eine halbe Note ab.

Für diese Schüler ist es immens wichtig, eine ihrer Begabung entsprechende Schule oder Umgebung zu finden, damit sich die Begabung auch entfalten kann. Die Gründe für Underachievement sind vielfältig und sollten unbedingt individuell diagnostiziert werden. Auf der anderen Seite: Genauso wichtig ist, dass auch diejenigen, deren Begabungsniveau wir als „ganz normal“, „nicht überdurchschnittlich“ usw. diagnostizieren, die zu ihnen passende Schule und Umgebung geboten bekommen. Und das kann auch schon einmal die Realschule sein. Denn echte Überforderung führt zu Frustration, Aggression und auffälligem Verhalten.

 

Die Sicht vieler Eltern: Die Fünf ist der Beweis, dass mein Kind nicht richtig gefördert wird

Ja, das kann im Einzelfall so sein, doch wird die Häufigkeit, dass es so ist, deutlich überschätzt. Seriöse Studien wie die Marburger Hochbegabtenstudie stellen klar: Der minderleistende Hochbegabte ist die Ausnahme, nicht die Regel. IQ und Leistungsmerkmale sind klar positiv korreliert. Das bedeutet: Intelligentere Schüler sind besser in der Schule, haben mehr Erfolg im Beruf und sind tendenziell auch sozial kompetenter.

 

Was ist nun mit Kevin?

Sein Ergebnis schließt zwar eine Hochbegabung aus, ebenso aber auch eine Minderbegabung. Damit und der richtigen Einstufung in Klassenstufe und Schulform scheinen Umgebungsfaktoren richtig gesetzt zu sein. Eine gründliche Aufnahme der Umgebungsfaktoren (familiäre Situation, soziale Strukturen, Stressoren, aber ggf. auch der Ausschluss von Wahrnehmungsdefiziten usw.) im Rahmen einer Erziehungsberatung wird vermutlich schnell Handlungsempfehlungen für den Umgang mit der Situation ergeben. Die Eltern können in vielen Fällen lernen, entspannter mit der Situation umzugehen und durch ihr Verhalten zu einer Einstellungs- und Verhaltensänderung bei Kevin beizutragen. Der Schlüssel liegt dabei zumeist in der Übernahme eigener Verantwortung: Wird zunächst noch der Lehrer verantwortlich gemacht, so rückt stattdessen die eigene Steuerungsmöglichkeit ins Blickfeld. Und Kevin geht wieder gern zur Schule.

 

Übrigens: Warum sind Klischees in Bezug auf Hochbegabung eigentlich so weit verbreitet?

Ein Erklärungsansatz hierzu ist: Wir denken gerne so, dass es für uns am bequemsten ist. Also analog zu Gedanken wie „Es reicht auch, wenn ich morgen mit dem Abnehmen beginne“ oder „Das mit dem Klimawandel wird schon nicht so schlimm sein, ich fahr heute nochmal mit dem Auto statt mit dem Fahrrad“ oder „Der Lehrer erkennt das Talent nur nicht, da brauchst Du gar nicht erst zu üben“.

Allzu menschliche Erklärungsmuster, die praktisch in allen Fällen in die Sackgasse führen. Aber eben nicht sofort. Und daher ist die bequeme Erklärung stets die liebste. Sollten Sie möglicherweise auch gerade in solch einer Sackgasse sitzen: Bitten Sie jemanden neutrales um seine Einschätzung. Vertrauen Sie nicht allein auf Ihre subjektive Wahrnehmung, machen Sie den ersten Schritt: Gehen Sie zu einem Psychologen, der sich auskennt. Er erkennt auch, wenn es sich um eine echten Fall von Underachievement handelt und er wird Ihnen konkrete Empfehlungen geben.

 

Alles Gute!

Ihr Thomas Römer

Aus der Jugendsprache:

Langweilig = uncool, nicht den Interessen entsprechend, bei Freunden nicht positiv bewertet

 

Hinweis: Der besseren Lesbarkeit wegen wird zumeist die männliche Form verwendet, es sind stets beide Geschlechter gemeint.
Thomas Römer ist Diplom-Psychologe in Hamburg. Er arbeitet mit hochbegabten Kindern und mit sogenannten High Potentials im beruflichen Umfeld

Kontakt: _ HYPERLINK „mailto:info@team-roemer.de“ _info@team-roemer.de_ www.team-roemer.de

 

 

Hochbegabte Erwachsene

Hochbegabung ist immer eine reiche Gabe. Ob sie als bereichernd gesehen wird und glücklich macht, oder ob sie zum Fluch wird und unglücklich macht, hängt zum Teil davon ab, ob Hochbegabte von ihrer besonderen Gabe überhaupt wissen und was sie daraus machen.

Hochbegabte Erwachsene unterschätzen Ihr Potential und ihre Fähigkeiten im Vergleich zu anderen. Wenn sie getestet werden, sind sich viele von ihnen nicht sicher, ob sie überhaupt überdurchschnittliche Leistungen erbringen werden oder haben sogar die Befürchtung, unterdurchschnittlich schlecht abzuschneiden. Konfrontiert mit ihren hervorragenden Testergebnissen können Sie sie oft nicht nachvollziehen und zweifeln mitunter den Test an.

Andauernde Selbstzweifel sind ein großes Thema für Hochbegabte. Eher zweifeln sie ihre Fähigkeiten an, als sie als eine besondere Gabe herauszustellen, geschweige denn, damit anzugeben.

Sie denken sehr viel über sich selbst und ihre Wirkung auf andere nach, gerade wenn sie sich unter Kollegen oder in Gruppen ausgeschlossen fühlen oder den Eindruck haben, sie werden nicht verstanden. Im Extremfall kann das dazu führen, dass sie Situationen vorweg genau durchdenken, um gegebenenfalls angemessen auf jede mögliche Entwicklung reagieren zu können. Meistens interessieren sie sich für psychologische oder philosophische Fragestellungen, fragen gern nach dem Sinn, denken intensiv über politische Systeme und gesellschaftliche Probleme nach und haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.

Manchmal beobachten sie, dass Menschen vor ihrer Klugheit Angst haben. Das kann der Student sein, der in einer Vorlesung irgendeine fachliche Theorie kritisch hinterfragt und deswegen Ärger mit seinem Professor bekommt. Das kann ein kaufmännischer Leiter sein, der zu den Konstruktionsplänen der Ingenieure so versierte Fragen stellt, dass seine Fragen offensiv in Frage gestellt werden. Da die meisten Menschen Angst vor Bloßstellung und Kritik haben, können hochbegabte Erwachsene durch ihre Fragen, Anregungen, Kritik oder Ideen bei den betroffenen Personen großen Stress sowie Zurückweisung und Ablehnung auslösen. Das muss zwar nicht automatisch die Folge sein, geschieht aber oft. Wie hochbegabte Erwachsene damit umgehen, hängt von ihren jeweiligen Erfahrungen, ihrer Persönlichkeitsstruktur, ihrer gegenwärtigen Selbstzufriedenheit und schließlich auch davon ab, wie wichtig ihnen ein bestimmtes Thema ist.

Eine weitere Fähigkeit, die ich beobachten konnte, ist das autodidaktische Lernen. Begabte Menschen können sich bei Interesse sehr schnell Wissen und Fähigkeiten aneignen, für die andere Menschen deutlich länger brauchen würden. Das können handwerkliche Fähigkeiten, Umgang mit Computerprogrammen, kreative Handlungen wie Schreiben, Malen, Gestalten oder Fotografieren, Heil- oder Meditationstechniken sein, einfach alles, was diese Menschen besonders interessiert. Ihre schnelle Auffassungsgabe kann zu tiefem Wissen führen, muss aber nicht. Genauso gut kann damit eine große Bandbreite von Wissen und Können entstehen.

Ob ein hochbegabter Mensch mit seinem Leben zufrieden und glücklich ist, hängt vor allem davon ab, ob er einen Arbeits- oder Lebensbereich gefunden hat, in dem er seine Fähigkeiten nutzen kann und idealerweise dafür auch von anderen geschätzt wird. Dann ist er zu Höchstleistungen fähig. Ist so ein Feld noch nicht gefunden, können sich Unzufriedenheiten, Selbstzweifel oder sogar Depressionen entwickeln und ausprägen.

In meiner Arbeit unterstütze ich hochbegabte Menschen, ihr Potential zu entdecken und begleite sie dabei, den Sinn und die Aufgabe ihres Lebens zu finden.

 

Dipl. Psych. Andreas Niklas ist Mitglied der Expertengruppe für Hochbegabung des Bundes Deutscher Psychologen (BDP) und berät und begleitet hochbegabte Erwachsene in München www.andreasniklas.de , andreas.niklas@web.de Tel. 089-34076931

 

Buchbesprechung

Rohrmann, Sabine & Tim Rohrmann: Hochbegabte Kinder und Jugendliche. Diagnostik – Förderung – Beratung. München: Reinhardt, 2. Aufl., 2010; ISBN 978-3-497-02189-5; 271 S.

Fünf Jahre sind seit der ersten Auflage vergangen. Vor allem die neuesten Entwicklungen in der Diagnostik haben das Autorenpaar veranlasst, ihr Buch zu aktualisieren. So ist z.B. die kommentierte Übersicht über die Testverfahren um den wichtigen HAWIK IV ergänzt. So werden hier und da neue theoretische Ansätze berichtet. So werden einzelne Phänomene neu gewichtet, wie z.B. das Asperger-Syndrom oder der Übergang zwischen Grundschule und Gymnasium. So werden spannende neueste Forschungsergebnisse, auch eigene, eingefügt.

 

Der überwiegende Inhalt ist aber im Vergleich zur ersten Auflage gleich geblieben, und das ist auch gut so.

Denn es ist nach wie vor wichtig, mit vielen Missverständnissen und Mythen aufzuräumen: Begabung stellt „nur“ eine Ressource dar und bedeutet noch lange keine hohe (Schul-)Leistung; auch Hochbegabte müssen lernen und üben; speziell im Vorschulalter sollte vorsichtiger von einem Entwicklungsvorsprung als von (feststehender und bleibender) Intelligenz gesprochen werden; Hochbegabung ist keine Behinderung; eine hohe Begabung zieht nicht automatisch Schwierigkeiten nach sich; es gibt nicht „die“ Hochbegabung; usw. usw.

 

Nicht jedes auffällige kindliche Verhalten hat etwas mit Hochbegabung zu tun, auch wenn es den Eltern noch so sehr gefallen würde. Manchmal ist es schlicht ein Erziehungsmanko seitens der Eltern, die ihrem Kind gegenüber nicht konsequent genug auftreten, vor allem dann, wenn der kleine Liebling seine Interessen eloquent und nachdrücklich zu artikulieren weiß. Und: Eine hohe Begabung ist kein Freifahrtschein für Faulheit. Jeder Schüler, auch der besonders begabte, ist für seine Leistung selbst verantwortlich.

 

Nach wie vor wichtig und bisher nur ein schöner Traum: Die Autoren vertreten eine integrative Begabtenförderung, also eine individualisierte Förderung der besonders Begabten innerhalb der bestehenden Systeme von Kita, Schule, Uni. Dies verlangt aber letztlich nicht nur eine grundsätzliche Neuorientierung der vorhandenen Bildungseinrichtungen, sondern vor allem ein anderes Rollenverständnis der Erzieher und Pädagogen, weg vom Besserwisser, hin zur Lernbegleiterin.

 

Pädagogen erhalten einen bunten Strauss von Möglichkeiten, wie sie ihren Unterricht nicht nur für Hochbegabte, sondern für alle Schüler motivierender und effektiver gestalten können. Ich wünsche dem Buch viele pädagogisch tätige Leser!

 

 

Buchbesprechung von Hagen Seibt

 

Buchbesprechung

García, Manon: Sind Sie noch Katze oder schon Hund? Hochbegabung nach dem Testergebnis. Norderstedt: Books on Demand, 2010; ISBN 978-3-8391-9967-1; 198 S.

„Ein nicht erkannter Hochbegabter fühlt sich ähnlich wie ein Hund, der als Katze aufwächst“, so die Autorin, die selbst erst mit 38 Jahren von ihrer Hochbegabung erfuhr, über (zu) spät erkannte Hochbegabte. Sie beschreibt ihre eigenen Reaktionen auf das Testergebnis als ein Chaos von Überraschung, Euphorie, Aggression und Trauer. „Ich lebte Jahrzehnte ein falsches Leben“ und auch jetzt, nach dem Testergebnis, fehlt mir „eine Bedienungsanleitung für das Leben“. Aber sie kämpft sich mühsam vorwärts, nach dieser Stunde Null. Sie nimmt Hilfe in Anspruch. Sie gräbt verschüttete Kindheitsträume wieder aus. Sie erkennt, dass sie lernen muss zu lernen. Sie muss auch den Unterschied zwischen frustrierenden Über-/Unterforderungen und beglückenden Herausforderungen erst lernen.

 

Ein Teil ihres Selbsthilfeprogramms: Sie macht sich umfassend schlau, sie liest alles, was ihr zum Themenkomplex Hochbegabung–Motivation–Leistung in die Finger kommt. Und dieses geballte Wissen schreibt sie – neben ihrer eigenen Geschichte – in diesem Buch nieder, nicht als quasi-wissenschaftliche Abhandlung, sondern als Botschaft: damit andere hochbegabte Erwachsene „sich ernst nehmen“ und zu „innerer Stärke“ gelangen können.

 

Die Autorin beschreibt nicht nur, sie analysiert, hinterfragt, begründet, wertet, nimmt Stellung – immer aus dem Blickwinkel einer Betroffenen. Dabei kommen auch Themen zur Sprache, die man nicht so ohne weiteres im Zusammenhang mit Hochbegabung erwartet: „Wie kann unser Hund unter Katzen authentisch leben?“ „Können Hochbegabte einen gesunden Narzissmus entwickeln?“

 

Vor allem aber appelliert sie an den Mut und die Ressourcen spät entdeckter Hochbegabter, nicht in gelernter Hilflosigkeit zu versinken, sondern gezielt aktiv zu werden. Sie beschreibt ihre eigenen Strategien und Fehlschläge, sie macht Vorschläge, warnt, gibt Ratschläge: „Sollten Sie zu den gefühlten Minderleistern gehören, probieren Sie Folgendes…“; „Stellen Sie sich die Frage…“; „Überlegen Sie…“; „Machen Sie sich bewusst, was Sie möchten, fühlen, denken“.

Fazit des sehr engagierten, sehr persönlichen Buches: Es gibt nur gut zwei Prozent Hochbegabte, deshalb kann die gesellschaftliche Norm, also das, was man tut/denkt/fühlt, nicht passen. So ist es und es ist nicht zu ändern. Finde also deinen eigenen Weg!

 

Wer selbst hochbegabt ist oder meint es zu sein, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Und wer zudem bereit ist für Sendungsbewusstsein und Ratschläge, für den stellt das Buch zweifellos eine Bereicherung dar – und sei es, um in der Auseinandersetzung seinen eigenen Wert und Weg abzusichern.

 

 

Buchbesprechung von Hagen Seibt

Bildnachweis: Die Bilder dienen nur illustrativen Zwecken. Alle dargestellten Personen sind Models.

Expertenkreis Hochbegabung/Potentiale der Sektion „Freiberufliche Psychologen“ im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) e.V.